EuGH: Systematische Speicherung und Übermittlung personen­bezogener Daten bei Tauschbörsen-Rechts­verletzungen zulässig

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In einem aktuellen Verfahren (EuGH, 17.06.2021, Rs. C-597/19 – M.I.C.M.) hatte der Europäischen Gerichtshof über eine Reihe von Rechtsfragen zu entscheiden, die regelmäßig Gegenstand von sogenannten Tauschbörsenrechtsverletzungen (Peer-to-peer- bzw. P2P-Filesharing) sind.

Die Vorlagefragen wurden von einem belgischen Gericht (Ondernemingsrechtbank Antwerpen) eingereicht, das über eine Auskunftsklage des Unternehmens Mircom International Content Management & Consulting Limited (M.I.C.M.) gegen den Internetzugangsanbieter Telenet BVBA zu entscheiden hat.

Über die Internetanschlüsse von Telenet-Kunden waren urheberrechtlich geschützte Filme aus dem Repertoire von Mircom in einem P2P-Netz (BitTorrent-Protokoll) „geteilt“ bzw. zum Herunterladen bereitgestellt worden. Die hierbei von den Kunden verwendeten IP-Adressen wurden von einen spezialisierten Unternehmen im Auftrag von Mircom erhoben. Nach dem Antrag von Mircom soll Telenet verpflichtet werden, die Identität (Name und Anschrift) derjenigen Kunden offen zu legen, denen diese IP-Adressen zugeordnet waren.

Hierfür sollte der EuGH zunächst klären, ob auch das in P2P-Netzen übliche Teilen von Segmenten einer Mediendatei, die ein geschütztes Werk enthält, eine „öffentliche Wiedergabe“ nach dem Unionsrecht und damit – bei fehlender Erlaubnis – eine Rechtsverletzung darstellt. Dies wurde vom EuGH bejaht. Die Richter stellten klar, dass es sich um eine „öffentliche Zugänglichmachung eines Werks“ handele, auch wenn die über das P2P-Netz hochgeladenen Segmente als solche nicht nutzbar seien.

Jeder Nutzer des P2P-Netzes könne die Originaldatei aus den auf den Computern der anderen Nutzer verfügbaren Segmenten leicht wieder zusammensetzen. Durch das Herunterladen der Segmente einer Datei mache er sie zugleich für das Hochladen durch andere Nutzer zugänglich. Er müsse auch keine Mindestmenge an Segmenten herunterladen. Jede Handlung, mit der er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens Zugang zu geschützten Werken verschafft, könne eine Zugänglichmachung darstellen. 

Im vorliegenden Fall handele es sich um eine solche Handlung, weil sie auf eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten abziele, eine recht große Zahl von Personen betreffe und gegenüber einem neuen Publikum erfolge. 

Mit dieser Auslegung solle der angemessene Ausgleich zwischen den Interessen und Grundrechten der Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums einerseits und den Interessen und Grundrechten der Nutzer von Schutzgegenständen andererseits gesichert werden. Darüber hinaus stellte der EuGH fest, dass ein Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums grundsätzlich auch dann die vom Unionsrecht vorgesehenen Mittel der Rechtsdurchsetzung (wie hier den Auskunftsanspruch zur Identifizierung der Internetanschlussinhaber) in Anspruch nehmen kann, wenn er seine Rechte im Wege einer Forderungsabtretung erworben hat und diese Rechte selbst nicht nutzt bzw. auswertet, sondern von mutmaßlichen Verletzern Schadensersatz verlangen möchte. Er dürfe aber nicht missbräuchlich handeln und sein Antrag müsse begründet und verhältnismäßig sein.

Schließlich hat der EuGH auch bestätigt, dass das Unionsrecht den Rechteinhaber oder einen in dessen Auftrag handelnden Dritten grundsätzlich nicht daran hindert, IP-Adressen von Nutzern von P2P-Netzen, deren Internetanschlüsse für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt worden sein sollen, systematisch zu speichern (vorgelagerte Datenverarbeitung).

Ebenso erlaube es das Unionsrecht, dass die Namen und Anschriften der Nutzer an den Rechtsinhaber oder an einen Dritten im Hinblick auf eine Schadensersatzklage übermittelt werden (nachgelagerte Datenverarbeitung). Entsprechende Maßnahmen und Anträge müssten jedoch gerechtfertigt, verhältnismäßig, nicht missbräuchlich und in einer nationalen Rechtsvorschrift vorgesehen sein.

Das Unionsrecht begründe selbst keine Verpflichtung für eine Gesellschaft wie Telenet, personenbezogene Daten an Privatpersonen zu übermitteln, damit diese vor den Zivilgerichten Urheberrechtsverstöße verfolgen können. Das Unionsrecht erlaube es den Mitgliedstaaten jedoch, eine solche Verpflichtung vorzusehen.

Autor: Rechtsanwalt Ron Bisle