LG Berlin: erste Entscheidung zur zulässigen Nutzung eines Werks als Pastiche

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Appropriation Art, Remix, Meme oder Mashup - diese Begriffe beschreiben Kunstformen und -techniken, die mehr oder weniger stark das Kopieren anderer Werke voraussetzen. Häufig führen solche Nutzungen zu (Rechts-)Streitigkeiten, denn der Urheber des kopierten Werkes kann grundsätzlich jede Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe seines Werkes verbieten.

Seit 07.06.2021 gilt in Deutschland jedoch der neue § 51a UrhG, dessen Absatz 1 Ausnahmen von diesem Verbotsrecht vorsieht. Zulässig ist demnach „die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches“.

Was allerdings genau ein Pastiche ist, gibt weder der Wortlaut des Gesetzes, noch die Gesetzesbegründung genau vor. Dort heißt es „der Pastiche muss eine Auseinandersetzung mit dem vorbestehenden Werk oder einem sonstigen Bezugsgegenstand erkennen lassen. Anders als bei Parodie und Karikatur, die eine humoristische oder verspottende Komponente erfordern, kann diese beim Pastiche auch einen Ausdruck der Wertschätzung oder Ehrerbietung für das Original enthalten, etwa als Hommage. Demnach gestattet insbesondere der Pastiche, nach § 5 I Nr. 2 UrhDaG-E bestimmte nutzergenerierte Inhalte (UGC) gesetzlich zu erlauben, die nicht als Parodie oder Karikatur zu klassifizieren sind, und bei denen im Rahmen der Abwägung von Rechten und Interessen der Urheber und der Nutzer ein angemessener Ausgleich gewahrt bleibt.“

Der Begriff ist als autonomer Begriff des Unionsrechts auszulegen. Rechtsprechung des EuGH fehlt jedoch bislang vollständig. Vor diesem Hintergrund ist ein Urteil des LG Berlin vom 02.11.2021 von besonderem Interesse, denn es setzt sich erstmals intensiv mit den Voraussetzungen eines Pastiches auseinander. Geklagt hatte ein englischer Künstler, der behauptete, das nachfolgend wiedergegebene Computerbild erstellt zu haben:

Er verlangte von dem deutschen Künstler Martin Eder, dass dieser es unterlasse, sein Werk „The Unknowable“ zu vervielfältigen, zu verbreiten, öffentlich zur Schau zu stellen oder öffentlich zugänglich zu machen. Das Werk von Eder ist ein 285 x 380 großes Ölgemälde, in welchem sich das Computerbild in Teilen wiederfindet:

Das Landgericht Berlin hat (bestätigt durch das Kammergericht) 2019 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren angenommen, die Nutzung der Vorlage durch Martin Eder verletze den Kläger in seinen Urheberrechten, insbesondere handele es sich weder um eine zulässige freie Benutzung nach § 24 UrhG, noch um eine Parodie oder ein erlaubtes Zitat (LG Berlin, 23.04.2019, Az. 15 O 102/19, KG Berlin, 30.10.2019, Az. 24 U 66/19).

In dem nun entschiedenen Hauptsacheverfahren hatte das Gericht die erst seit wenigen Monaten geltende Vorschrift des § 51a UrhG anzuwenden, die neben der Parodie auch den Pastiche regelt. Dies führte zu einer Umkehr des Ergebnisses, da das Gericht das Vorliegen eines Pastiches bejahte. Martin Eder durfte also die Vorlage des englischen Künstlers für sein Werk „The Unknowable“ verwenden.

Das Gericht stellt in seinem Urteil zunächst fest, dass eine urheberrechtlich relevante Nutzung des klägerischen Werkes vorliegt. Nach dem ebenfalls neu gefassten § 23 UrhG liegt nämlich dann keine (erlaubnispflichtige) Bearbeitung oder Umgestaltung vor, wenn das neu geschaffene Werk „einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk wahrt“. Hier läge jedoch kein hinreichender Abstand vor. Das klägerische Bild werde als Teil des aus bestehenden Motiven komponierten Bildes des Beklagten erkennbar wiedergegeben, es sei ein wesentlicher Bestandteil des neuen Bildes.

Die Nutzung sei aber als Pastiche ohne Zustimmung des Klägers zulässig. Zum Pastiche gehöre gerade die Wiedererkennbarkeit des genutzten vorbestehenden Werkes, die Übernahme fremder Werkteile ist daher erlaubt. Die verwendeten Werkteile müssen aber so benutzt werden, dass sie in veränderter Form erscheinen. Hier genüge schon ein Mindestmaß an eigener Kreativität. Das Werk des Klägers sei vorliegend nicht als bloße Kopie genutzt worden, der Beklagte habe es vielmehr als Hintergrund für ein neues Bild genutzt und zu diesem Zweck auch einen Medienbruch vollzogen, indem er es als Ölgemälde auf Leinwand übertragen habe. Das Werk „The Unknowable“ habe einen deutlichen Collagecharakter, wobei sich der Beklagte kritisch mit dem Inhalt der Vorlage auseinandergesetzt habe. Die positive Wirkung des klägerischen Bildes habe der Beklagte in seiner Collage umgekehrt, was u.a. durch die kraftlose Haltung und den hängenden Kopf der Frau ausgedrückt werde. Das gerade für seinen kitschigen Charakter von vielen gemochte Motiv habe der Beklagte in ein „Inferno von Kitsch“ verwandelt, es werde als negativ wahrgenommener Dekorationskitsch präsentiert und damit infrage gestellt.

Das Argument des Klägers, die Pastiche-Schranke des § 51a UrhG gelte nur für „moderne“ künstlerische Praktiken wie Memes, Fan Art, Remixes o.ä., nicht aber für „klassische“ Kunstformen wie Ölmalerei, überzeugte das Gericht nicht. Die hierzu erforderliche größere schöpferische Leistung, das Bild nicht nur im „copy-and-paste-Verfahren“ zur Grundlage eines eigenen Digitalbildes zu machen, spreche vielmehr gerade für die Anwendung des § 51a UrhG auch auf Ölgemälde.

Der Kläger werde durch das Werk des Beklagten auch nicht in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, sein Werk zu verwerten. Die beiden Bilder würden nicht verwechselt werden und der Beklagte stelle keine Vervielfältigungen zu dekorativen oder kommerziellen Zwecken her.

Im Ergebnis überwiege das Interesse des Beklagten, seine Meinung in der künstlerischen Gestalt collageartiger, referenzierender Übernahmen von vorhandenem Bildmaterial aller Art auszudrücken und dabei den für ihn prägenden künstlerischen Stil zu pflegen, das Interesse des Klägers an der Wahrung seines Eigentums und seines Urheberrechts deutlich.

Das Urteil ist ein erster wichtiger Schritt, dem Begriff des Pastiches rechtlich Kontur zu verleihen. Gleichzeitig ist absehbar, dass weitere Urteile deutscher und ausländischer Gerichte folgen werden und letztlich eine Klarstellung durch den EuGH unausweichlich ist.

Autor: Rechtsanwalt Marc Hügel