OLG Frankfurt am Main: hohe Anforderungen an Meldung rechtswidriger Inhalte auf Twitter
Der Online-Dienst „X“ (ehemals Twitter) ist immer wieder in gerichtliche Auseinandersetzungen wegen der Verbreitung rechtswidriger Inhalte durch seine Nutzer verwickelt (wir berichteten). Für die Frage, ob Anbieter wie „X“ oder „Facebook“ für nutzergenerierte Inhalte haften, kommt es entscheidend darauf an, ob sie Kenntnis von dem rechtswidrigen Inhalt erlangt haben.
Die Kenntnisverschaffung kann dabei auf verschiedenen Wegen erfolgen, bspw. per E-Mail, ein angebotenes Meldeformular oder ein Anwaltsschreiben. Dass nicht alle Wege gleich sinnvoll bzw. erfolgsversprechend sind, musste jetzt der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg erfahren. Gegen ihn wurde 2022 auf Twitter gehetzt, verschiedene Nutzer behaupteten dort wahrheitswidrig, er habe „eine Nähe zur Pädophilie“ und er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in „antisemitische Skandale“ verstrickt und er sei „Teil eines antisemitischen Packs“.
Das Landgericht Frankfurt am Main hatte im Dezember 2022 dem Kläger Recht gegeben und Twitter nicht nur zur Löschung der konkret beanstandeten Inhalte verpflichtet (Az. 2-03 O 325/22), sondern dabei auch festgestellt, dass der Dienst auch ähnliche, „kerngleiche“ Inhalte finden und löschen muss.
Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Entscheidung aufgehoben (Az. 16 U 195/22). Dabei befasste das Gericht sich nicht mit der (Un-)Wahrheit der Beiträge, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch scheiterte vielmehr an Formalitäten. Denn nach Ansicht der Richter hatte der Kläger es versäumt, mit seiner Meldung Twitter ausreichend Kenntnis von der behaupteten Rechtsverletzung zu verschaffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine kenntnisverschaffende Meldung es dem Anbieter ermöglichen, eine Rechtsverletzung „ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Prüfung“ zu erkennen. Hier sei in dem Anwaltsschreiben ohne jegliche Begründung oder Sachverhaltsdarstellung allein von „rechtswidrigen Inhalten“ die Rede gewesen. Twitter habe daher nicht erkennen können, dass der Kläger sich gegen die Verbreitung konstruierter Lebenssachverhalte wende, denen es an einer tatsächlichen Grundlage fehle bzw. gegen nicht erweislich wahre Tatsachen. Da es sich um ein einstweiliges Verfügungsverfahren handelt, gibt es keine weiteren Rechtsmittel.
In einem vergleichbaren Fall hatte das OLG Frankfurt am Main erst im Januar zugunsten der Klägerin Renate Künast entschieden (Az. 16 U 65/22), dass ihr ein Anspruch auf Löschung (auch kerngleicher Inhalte) zusteht. Zwar hatte auch in dem dortigen Fall die Meldung über das „NetzDG-Formular“ nicht für eine ausreichende Kenntnisverschaffung genügt, das OLG stellte aber fest: „Kenntnis von dem beanstandeten Falschzitat erhielt die Beklagte aber mit dem Anwaltsschreiben vom 1.4.2021. Darin wurde sie unter Nennung der konkreten URLs auf die auf ihrer Plattform abrufbaren Posts 1 und 2 hingewiesen und die Tatsache des Falschzitats durch einen Link auf einen Artikel von Y, einem externen Faktenprüfer, belegt.“
Der Fall zeigt, wie wichtig gute anwaltliche Beratung schon im Vorfeld einer Klage ist.
Autor: Marc Hügel