In einem bislang einzigartigen Urteil vom 10.12.2021 (Az. 2-03 O 422/20) hat das Landgericht Frankfurt am Main entschieden, dass Twitter einer Nutzerin EUR 6.000,00 Geldentschädigung sowie die Kosten der Abmahnung zahlen muss, weil der Dienst einen beleidigenden Tweet nicht unverzüglich gelöscht hat.
„Hassrede“ ist im Internet ein verbreitetes Problem, bereits im Jahr 2018 gaben 78 % der Befragten einer Forsa-Studie an, schon einmal Hassrede oder Hasskommentare im Internet gesehen zu haben. Oft handelt es sich um (strafbare) Beleidigungen, deren Verfolgung jedoch wegen der oft anonymen oder pseudonymen Nutzer schwierig ist. Die Plattformen, auf denen die Äußerungen verbreitet werden, haften in der Regel nicht selbst, da sie als sog. Hostprovider nach § 10 TMG privilegiert sind.
Der Gesetzgeber hat 2017 mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) auf die schlechte Identifizierbarkeit der Nutzer von Twitter, Facebook und ähnlichen Diensten reagiert und in § 14 TMG ein Verfahren ergänzt, das es Opfern von Beleidigungen erlaubt, die hinterlegten Klardaten zu dem fraglichen Account in Erfahrung zu bringen. Hierzu muss der Geschädigte eine gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung erwirken. Das Gericht erlässt eine solche Anordnung, wenn es feststellt, dass eine „Katalogtat“ nach § 1 Abs. 3 NetzDG vorliegt, also eine der dort aufgezählten Straftaten, wozu die Beleidigung zählt.
In dem nun entschiedenen Fall hatte die Klägerin einen kontroversen Tweet auf Twitter verfasst, auf den zahlreiche ihrer über 100.000 Follower antworteten. Viele der Antworten enthielten beleidigende Inhalte, weswegen die Klägerin ein Anordnungsverfahren nach § 14 TMG vor dem Landgericht anstrengte. In diesem Verfahren betrachtete das Landgericht jedenfalls sechs der Antworten als strafbare Beleidigungen im Sinne des § 185 StGB. Twitter war an dem Anordnungsverfahren beteiligt und bestritt eine Strafbarkeit der Inhalte.
Nachdem der Beschluss zugestellt worden war und Twitter die erforderlichen Auskünfte erteilt hatte, stellte die Klägerin fest, dass die sechs Beiträge weiterhin online waren. Sie ließ den Dienst daraufhin abmahnen und forderte die Zahlung einer Geldentschädigung. Twitter löschte daraufhin zwar die Beiträge, verweigerte aber die Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie jegliche Zahlung.
Das Landgericht gab nun jedoch der Klägerin Recht und verurteilte Twitter zur Unterlassung und Zahlung. Zur Begründung führt das Gericht aus, Hostprovider seien zwar nach § 10 TMG grundsätzlich von einer Haftung freigestellt.
Sie müssten jedoch, sobald sie Kenntnis von einem konkreten rechtswidrigen Inhalt erhielten, unverzüglich tätig werden, um den Inhalt zu entfernen oder den Zugang zu ihm zu sperren. Es habe sich in der Tat bei den sechs Beiträgen um Formalbeleidigungen oder jedenfalls um Schmähkritik gehandelt und die Nutzer hätten auch unter Berücksichtigung des weiten Schutzumfangs der Meinungsfreiheit kein Recht gehabt, die Klägerin in einem im öffentlich geführten Diskurs wie geschehen grob herabzuwürdigen und mit wüsten Beschimpfungen persönlich anzugreifen.
Twitter habe jedenfalls nach der Entscheidung des Landgerichts im Anordnungsverfahren die erforderliche Kenntnis von den konkreten Inhalten und deren Rechtswidrigkeit gehabt und es im Anschluss versäumt, diese unverzüglich zu entfernen. Hieraus folge ein Unterlassungsanspruch der Klägerin, der nicht mit der (späteren) Löschung der Beiträge entfallen sei.
Auch stehe der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von EUR 6.000,00 gegen Twitter zu. Hierzu stellt das Gericht fest, Twitter sei für die Persönlichkeitsrechtsverletzungen neben den Nutzern mitverantwortlich. Zwar habe sich der Dienst die Inhalte nicht zu eigen gemacht. Er hafte aber als Teilnehmer durch Unterlassen. Twitter hätte die rechtswidrigen Inhalte unverzüglich beseitigen müssen. Durch die Nichtlöschung habe der Dienst den Nutzern zu deren vorsätzlichen Rechtsverletzungen Hilfe geleistet. Dies sei auch vorsätzlich geschehen, da Twitter jedenfalls ab Übermittlung des Beschlusses aus dem Gestattungsverfahren nicht mehr darauf hätte vertrauen dürfen, dass es sich bei den Beiträgen nicht um strafbare Inhalte im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG handelte.
Durch die in Folge der Nichtlöschung länger andauernde Abrufbarkeit der beleidigenden Äußerungen sei die Klägerin schwerwiegend in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt worden. Die Geldentschädigung solle zum einen die Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine Geldzahlung kompensieren, daneben spiele die Präventivfunktion eine erhebliche Rolle. Twitter solle dazu angehalten werden, entsprechende Äußerungen künftig unverzüglich zu löschen, sobald der Dienst Kenntnis von derartigen offensichtlich rechtswidrigen oder sogar strafbaren Inhalten erlangt. Ob allerdings eine Zahlungspflicht in Höhe von EUR 6.000,00 geeignet ist, Twitter zu einer generellen Umstellung in dieser Frage zu bewegen, erscheint bei einem Jahresumsatz von über 3,7 Mrd. USD fraglich.
Autor: Rechtsanwalt Marc Hügel