In verschiedenen Lebensbereichen kommt es zu „Massen“- oder „Streuschäden“ – ein Ereignis führt zu zahlreichen (oft kleineren) Rechtsverletzungen. Die Betroffenen stehen dann vor der Wahl, wegen einigen Hundert Euro einen Rechtsstreit zu führen oder auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche zu verzichten. Bspw. bei Entschädigungsansprüchen aus Fluggastrechten oder auch in den „Diesel-Skandal“-Fällen haben sich zahlreiche Dienstleister etabliert, die sich Forderungen der Geschädigten abtreten lassen und diese dann gebündelt durchsetzen. Der Betroffene trägt keinerlei Risiko, erhält dafür im Gegenzug im Erfolgsfall nur einen Teil seiner Ansprüche.
Bislang war unklar, ob solche Abtretungsmodelle auch im Bereich von Schadensersatzansprüchen zulässig sind, die auf Datenschutzverletzungen zurückgehen, insbesondere nach Art. 82 DSGVO. Denn § 399 BGB sieht vor, dass höchstpersönliche Ansprüche nicht abgetreten werden dürfen.
Mit Urteil vom 24.07.2024 hat das Oberlandesgericht Hamm sich nun als erstes OLG bundesweit zu dieser Frage geäußert und grundsätzlich die Abtretbarkeit des Schadensersatzanspruchs aus Art. 82 DSGVO bejaht (Az. 11 U 69/23). Das Gericht hat hierzu ausgeführt:
Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei Art. 82 Abs. 1, 2 DSGVO nicht um einen höchstpersönlichen Anspruch. Anspruchsvoraussetzung ist ein Datenschutzverstoß, durch den der Anspruchsteller persönlich betroffen sein muss. Anders als bei einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht steht hier nicht der Genugtuungsgedanke im Vordergrund, sondern es soll der aufgrund eines Verstoßes gegen die DSGVO entstandene Schaden vollständig und wirksam finanziell entschädigt werden, womit eine Ausgleichsfunktion verbunden ist. Darüber hinaus erfüllt Art. 82 DSGVO einen weiteren Normzweck, mit dem ihm eine spezial- und auch generalpräventive Aufgabe zukommt, indem er dazu beitragen soll, dass innerhalb der Union ein gleichmäßiges und hohes Schutzniveau von natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gewährleistet und ein Anreiz für die Einhaltung der DSGVO geschaffen wird. Schließlich enthält Art. 82 DSGVO eine eigenständige Anspruchsgrundlage für einen Ersatzanspruch, sodass die Grundsätze, die für einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, nicht anzuwenden sind.
Insbesondere ist nicht erforderlich, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt; der EuGH hat eine Erheblichkeitsschwelle ausdrücklich verneint.
Auch liege kein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz vor. Bei den Abtretungsverträgen handele es sich um sog. echtes Factoring, das dem Anwendungsbereich des Rechtsdienstleistungsgesetzes nicht unterfällt (so auch BGH VIII ZR 17/17). Wegen der vollständigen Abtretung der Ansprüche sei die Klägerin schon nicht in konkreten fremden Angelegenheiten tätig geworden.
Mit dieser Weichenstellung eröffnet das OLG Hamm dem wachsenden Markt der Rechtsdienstleister und Legal-Tech Unternehmen ein weiteres Tätigkeitsfeld. Klagen auf Schadensersatz wegen Datenschutzverstößen sind schon jetzt weit verbreitet, bundesweit sind mehrere Tausend Fälle anhängig. Sollten diese in Zukunft – wie hier – gebündelt in einzelnen Klagen geltend gemacht werden, könnte dies eine Entlastung der Justiz mit sich bringen.
Im konkreten Fall ist die Klägerin jedoch im Wesentlichen gescheitert. Sie hatte aus 532 abgetretenen Fällen insgesamt mindestens EUR 425.600 Schadensersatz geltend gemacht, zugesprochen wurden ihr jedoch nur EUR 600, zudem muss sie die gesamten Kosten des Verfahrens tragen. Nach den Urteilsgründen ist dies auf nachlässige Prozessführung bzw. -vorbereitung zurückzuführen.
So ist es der Klägerin nur im Hinblick auf zwei Geschädigte gelungen, den Abschluss der Abtretungsverträge und einen eingetretenen Schaden hinreichend substantiiert darzulegen und zu beweisen. Für sechs Geschädigte hatte die Klägerin die Ansprüche doppelt geltend gemacht und zudem Forderungen von fünfzehn Personen beansprucht, die nicht von dem Datenschutzverstoß betroffen waren. Ferner hat sie Ansprüche von elf Personen geltend gemacht, die die im Zeitpunkt des Abschlusses des Abtretungsvertrags noch minderjährig waren, ohne insoweit eine Einwilligung oder nachträgliche Genehmigung der Erklärung darzulegen.
Der Fall ist bereits beim BGH unter dem Aktenzeichen VI ZR 257/24 anhängig, eine höchstrichterliche Klärung ist angesichts der Bedeutung der Frage überfällig.
Autor: Rechtsanwalt Marc Hügel