EuGH: Sendeunternehmen können Anspruch auf Leermedienabgabe haben

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Inhabern von Urheber- und Leistungsschutzrechten steht unter anderem das sog. Vervielfältigungsrecht zu, also das Recht, Kopien von ihren Werken herzustellen. Wird dieses Recht durch Dritte genutzt bzw. verletzt, steht den Rechteinhabern grundsätzlich ein Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch zu. Mit Aufkommen von Tonbandgeräten, Videorecordern, CD-Brennern und „Online-Videorecordern“ ist es in der Praxis jedoch unmöglich geworden, Vervielfältigungen durch Private zu kontrollieren. Der Gesetzgeber hat daher bestimmte private Nutzungen durch § 53 UrhG als Privatkopie erlaubt und gleichzeitig in § 54 UrhG vorgesehen, dass Hersteller von Speichermedien und Geräten eine angemessene Vergütung an Rechteinhaber zahlen müssen.

Jedoch sind nach § 87 Abs. 4 UrhG Sendeunternehmen von dem Vergütungsanspruch ausgeschlossen, obwohl auch ihnen das Vervielfältigungsrecht hinsichtlich ihrer Funksendungen zusteht. Die Regelung ist schon lange umstritten und war mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. So riefen ARD und ZDF 1986 das Bundesverfassungsgericht an, dass jedoch nicht in der Sache entschied, da sich öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten nicht auf eine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum aus Art. 14 GG berufen können (Az. 1 BvR 686/86).

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Vorschrift bislang nur im Rahmen einer Staatshaftungsklage beschäftigt (Az. III ZR 140/09). Dort wurde keine offenkundige und erhebliche Überschreitung der Grenzen der Rechtssetzungsbefugnisse angenommen, wodurch die Frage offen blieb, ob ein „einfacher“ Verstoß gegen das EU vorliegt, womit die Norm aber gleichermaßen unionsrechtswidrig wäre.

Mit Urteil vom 23.11.2023 (Az. C-260/22) hat der EuGH die Frage nun zum Teil beantwortet. Geklagt hatte die Seven.One Entertainment Group GmbH gegen die Verwertungsgesellschaft Corint Media GmbH. In seiner Entscheidung hält der EuGH zunächst fest, dass den Sendeunternehmen in den Mitgliedstaaten, die die Ausnahme für Privatkopien umgesetzt haben, grundsätzlich ein Anspruch auf einen gerechten Ausgleich zuerkannt werden muss, wenn die Vervielfältigung der Aufzeichnungen ihrer Sendungen durch „Privatkopien“ erfolgt. Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Kategorien von Rechteinhabern sei auf EU-Ebene durch Art. 2 Buchst. a bis e der Richtlinie 2001/29, nicht vorgesehen.

Sendeunternehmen müsse daher wie den anderen Rechtsinhabern grundsätzlich der in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie geregelte Anspruch auf einen gerechten Ausgleich zuerkannt werden.

Die Mitgliedsstaaten hätten aber ein weites Ermessen, was die Festlegung der Form, der Einzelheiten und der etwaigen Höhe dieses gerechten Ausgleichs angeht. Die Freiheiten bei der Umsetzung erlauben es auch, eine Befreiung von der Zahlung des gerechten Ausgleichs vorzusehen, wenn den Rechtsinhabern durch die fragliche Handlung nur ein geringfügiger Nachteil entsteht. Bei der Festlegung der Schwelle, ab der ein gerechter Ausgleich geschuldet ist, müssen die Mitgliedsstaaten den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten, der einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt.

Da Sendeunternehmen ebenso wie anderen Rechteinhabern das Vervielfältigungsrecht zusteht, darf der nationale Gesetzgeber diese nur unterschiedlich behandeln, wenn dies auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht. Der EuGH erklärt, die Annahme, durch Aufzeichnungen ihrer Sendungen entstehe Sendeunternehmen kein oder nur ein geringfügiger Nachteil, stelle ein objektives und angemessenes Kriterium dar.

Es sei aber Aufgabe der nationalen Gerichte, das Vorliegen und den Umfang des etwaigen den Sendeunternehmen entstandenen Nachteils zu bestimmen.

Offen geblieben ist außerdem die Frage, ob eine rechtswidrige Ungleichbehandlung schon aus dem Umstand folgt, dass einige Sendeanstalten ­­– jedenfalls hinsichtlich eines Teils der gesendeten Inhalte – gleichzeitig Filmhersteller im Sinne des § 94 UrhG sind und daher in dieser Eigenschaft von der Privatkopie profitieren.

Nur wenn das nationale Gericht (hier das LG Erfurt) zu dem Schluss kommt, den Sendeunternehmen entstehe nur ein „geringfügiger Nachteil“ durch die Privatkopien ihrer Sendungen und gleichzeitig sich reine Sendeunternehmen und Sendeunternehmen, die auch Filmhersteller sind, in einer vergleichbaren Situation befinden, sei die deutsche Regelung des § 87 IV UrhG mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 kompatibel und somit unionsrechtskonform, so der EuGH. Insbesondere der zweite Punkt erscheint zweifelhaft, da bestimmte Rundfunkanstalten nur Fremdproduktionen senden, somit nie Filmhersteller sind und daher nie in den Genuss der Privatkopievergütung kämen. Es erscheint daher denkbar, dass das LG Erfurt die Regelung für unionsrechtswidrig erklären und somit zugunsten der Klägerin entscheiden wird.

 

Autor: Rechtsanwalt Marc Hügel