BGH entscheidet über Haftung von YouTube und Uploaded für Urheberrechts­verletzungen

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Seit 2009 streiten sich verschiedene Rechteinhaber mit den Plattformen YouTube und Uploaded wegen Urheberrechtsverletzungen, die von Nutzern der Dienste begangen wurden. Hinsichtlich der Nutzer selbst ist klar, dass diese (strafbare) Urheberrechtsverletzungen begehen, ihre Verfolgung ist jedoch oft nicht möglich, da die Plattformen eine anonyme oder pseudonyme Nutzung ermöglichen.

Heftig umstritten ist hingegen die Frage, ob bzw. unter welchen Umständen die Anbieter solcher Dienste selbst auf Unterlassung und Schadensersatz haften. So ist 2010 das Landgericht Hamburg in einem Rechtsstreit zwischen dem Musikproduzenten Frank Peterson und YouTube zu dem Ergebnis gekommen, dass YouTube sich von den Nutzern hochgeladene Inhalte zu Eigen mache und daher auf Unterlassung und Schadensersatz hafte (Az. 308 O 27/09). Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) hob das Urteil jedoch zum Teil auf. Zwar sei YouTube verpflichtet, nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung das konkrete Angebot unverzüglich zu sperren und müsse darüber hinaus auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzrechtsverletzungen kommt. Eine Verletzung dieser Vorsorgepflicht führe jedoch nur zu einer Störerhaftung des Anbieters und somit nicht zu Schadensersatzansprüchen (Az. 5 U 175/10), die nur gegen einen Täter oder Teilnehmer im Rechtssinne gegeben sind. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH verschiedene Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vor, das das Recht der öffentlichen Wiedergabe harmonisiert.

Unabhängig von den Verfahren gegen YouTube klagten verschiedene Rechteinhaber in insgesamt sechs Verfahren gegen den die Cyando AG, den Betreiber des „Sharehosting-Dienstes“ Uploaded. Der BGH hatte in einem Verfahren gegen den Anbieter „RapidShare“ schon 2012 entschieden (Az. I ZR 18/11), eine solche Plattform nach einem Hinweis auf eine Rechtsverletzung im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren verhindern muss, dass derselbe oder andere Nutzer das dem Dienst konkret benannte Werk Dritten erneut über dessen Server anbieten. Eine Verletzung dieser Pflicht führte nach Ansicht des BGH aber nur zu einer Haftung als Störer, die keine Schadensersatzansprüche umfasst.

Schon das Landgericht München kam in erster Instanz zu abweichenden Ergebnissen, trotz der im Wesentlichen gleichen Sachverhalte. Zum Teil nahm es eine Beihilfe der Plattform zu den Rechtsverletzungen der Nutzer an und sprach den Geschädigten Schadensersatz zu (37 O 6199/14). Eine andere Kammer des Landgerichts sah keine Beihilfe, da es an einem gemeinsamen Tatplan bzw. einem bewussten und gewollten Zusammenwirken zwischen dem Dienst und den Nutzern fehle (33 O 6198/14). Das Oberlandesgericht München wiederum ging in allen Fällen nur von einer Störerhaftung aus. Auch diese Verfahren setzte der BGH aus und legte dem EuGH weitere Fragen vor.

Der EuGH hat über die Fragen durch Urteil vom 22. Juni 2021 entschieden (verbundene Rechtssachen C-682/18 und C-683/18). Dabei stellte er fest, dass der Betreiber einer Video-Sharing-Plattform, der weiß oder wissen müsste, dass Nutzer über seine Plattform im Allgemeinen geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen, selbst eine öffentliche Wiedergabe der von Nutzern hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalt vornehme, wenn er nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen. Lediglich reaktive technische Maßnahmen, die Rechtsinhabern das Auffinden von bereits hochgeladenen rechtsverletzenden Inhalten oder die Erteilung von darauf bezogenen Hinweisen an den Plattformbetreiber erleichtern, genügten für die Einstufung als Maßnahmen zur glaubwürdigen und wirksamen Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen nicht.

Der EuGH hat weiter ausgeführt, dass die allgemeine Kenntnis des Betreibers von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform für die 

Annahme einer öffentlichen Wiedergabe des Betreibers nicht genüge, dass es sich aber anders verhalte, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern.

Damit stellte der EuGH klar, dass die eine Verletzung der vom BGH schon 2012 angenommenen Pflicht, gleichartige Rechtsverletzungen zu verhindern, nicht „nur“ zur Haftung als Störer führt, sondern eine eigene Handlung der Wiedergabe durch die Plattform bedeutet und somit auch Schadensersatzansprüche gegeben sind.

Mit seinen heute verkündeten Urteilen (I ZR 140/15, I ZR 53/17, I ZR 54/17, I ZR 55/17, I ZR 56/17, I ZR 57/17 und I ZR 135/18) hat der Bundesgerichthof den Vorgaben des EuGH folgend das Haftungsrecht für Rechtsverletzungen im Internet dramatisch verändert. So gibt er seine bisherige Rechtsprechung zur Störerhaftung ausdrücklich auf:

„Der Bundesgerichtshof hält vor diesem Hintergrund für den durch Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG vollharmonisierten Bereich nicht an seiner Rechtsprechung fest, nach der in dieser Konstellation keine Haftung als Täter einer rechtswidrigen öffentlichen Wiedergabe, sondern allenfalls eine Haftung als Störer in Betracht kam. Hier tritt nun die Haftung als Täter an die Stelle der bisherigen Störerhaftung.“

Nach Ansicht des BGH hat das Berufungsgericht noch keine ausreichenden Feststellungen zu der Frage getroffen, ob YouTube die geeigneten technischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen auf ihrer Plattform ergriffen hat, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer erwartet werden können. Es müsse zudem noch festgestellt werden, ob YouTube seine durch einen Hinweis auf die klare Verletzung der Rechte des Klägers ausgelöste Pflicht verletzt habe, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu diesen Inhalten zu verhindern. Das Verfahren wurde daher an das OLG Hamburg zurückverwiesen.

Auch die Verfahren gegen die Cyando AG wurden an die jeweiligen Oberlandesgerichte zurückverwiesen. Auch hier steht aber fest, dass nicht mehr nur eine Störerhaftung im Raum steht. Anders als bei YouTube hat der BGH den Oberlandesgerichten zudem den Hinweis erteilt, es bestünden „gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beklagte keine hinreichenden technischen Maßnahmen ergriffen hat, weil die von ihr eingesetzten proaktiven Maßnahmen Urheberrechtsverletzungen nicht hinreichend effektiv entgegenwirken und die weiteren von der Beklagten angeführten Maßnahmen (Bereitstellung eines "Abuse-Formulars" und eines "Advanced-Take-Down-Tools") lediglich reaktiv und daher ebenfalls unzureichend sind“. Es bestünden zudem gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Geschäftsmodell der Beklagten auf der Verfügbarkeit rechtsverletzender Inhalte beruhe und die Nutzer dazu verleiten solle, rechtsverletzende Inhalte über die Plattform der Beklagten zu teilen. Sollte das Berufungsgericht in den wiedereröffneten Verfahren entsprechende Feststellungen treffen, wäre die Cyando AG als Täterin neben den Kunden für die Urheberrechtsverletzungen verantwortlich und würde auf Auskunft, Unterlassung und Schadensersatz haften.

Für Rechteinhaber sind die heutigen Entscheidungen ein Grund zur Freude: die restriktive Rechtsprechung deutscher Gerichte hat jahrzehntelang Plattformen begünstigt und von einer Haftung freigestellt, selbst wenn deren Popularität maßgeblich auf der kostenlosen Verfügbarkeit urheberrechtlich geschützter Inhalte beruhte. Nun steht fest: wird ein Inhalt nach einer Meldung nicht unverzüglich entfernt, haftet der Anbieter der Plattform (auch) auf Schadensersatz. Dasselbe gilt, wenn er keine geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, um Urheberrechtsverletzungen auf der Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen.

Autor: Rechtsanwalt Marc Hügel