EuGH bejaht „fliegenden“ Gerichtsstand bei Beleidigungen im Internet

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Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mir Urteil vom heutigen Tage (Az. C-251/20) entschieden, dass ein Opfer verunglimpfender Äußerungen im Internet in jedem Mitgliedsstaat auf Schadensersatz klagen kann, in dem der Inhalt zugänglich war oder ist. Das angerufene Gericht darf dabei allerdings nur über den in diesem Staat entstandenen Schaden entscheiden.

Ein Unternehmen mit Sitz in der Tschechischen Republik hatte vor einem französischen Gericht gegen einen Konkurrenten aus Ungarn geklagt, weil dieser sich auf verschiedenen Webseiten verunglimpfend über die Klägerin geäußert habe. Das Unternehmen verlangte die Entfernung der Äußerungen, Richtigstellung und Ersatz des aus den Veröffentlichungen entstandenen Schäden. Die französischen Gerichte erklärten sich in erster und zweiter Instanz für unzuständig.

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht die „Brüssel Ia“ genannte Verordnung (EU) Nr. 1215/2012. Diese regelt in Art. 7 Nr. 2:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden: … wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.“

Der EuGH hatte somit nun zu entscheiden, wie bei Klagen, die über das Internet verursachte Schäden zum Gegenstand haben, das zuständige Gericht zu bestimmen ist. In seinem Urteil kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Klage auf Schadensersatz vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats zulässig ist, in dessen Hoheitsgebiet diese

Äußerungen zugänglich sind oder waren – selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.

Der Geschädigte hat dabei nach Ansicht des EuGH drei Möglichkeiten: er kann entweder am Wohnsitz (oder Sitz der Niederlassung) des Verfassers der Inhalte klagen, oder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt der Interessen des Geschädigten befinden. In beiden Fällen ist das Gericht befugt, über den gesamten entstandenen Schaden zu entscheiden. Alternativ kann der Geschädigte auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats Klage erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind jedoch nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.

Für eine Klage auf Richtigstellung von Angaben und Entfernung von Inhalten seien hingegen nur die Gerichte zuständig, die auch über den gesamten Schadensersatz urteilen dürfen, da diese Ansprüche einheitlich und untrennbar seien.

Schließlich stellt der EuGH klar, dass es für die Zuständigkeit zur Entscheidung über Schadensersatzansprüche nicht darauf ankomme, ob die Webseite auf den Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts „ausgerichtet“ ist. Die Voraussetzungen des Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 unterscheiden sich insofern von denen des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c. Dieser setzt in bestimmten Verbrauchersachen ausdrücklich voraus, dass der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit auf den Mitgliedsstaat ausrichtet, in dem der Verbraucher Klage erheben will.

Autor: Rechtsanwalt Marc Hügel