BGH entscheidet über angemessene Beteiligung eines Konstrukteurs des „Ur-Porsches“

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Der Porsche 911 gehört zu den bekanntesten Sportwagen der Welt und ist mit ca. 40.000 verkauften Exemplaren pro Jahr eine der wichtigsten Baureihen des Herstellers. Erwin Komenda war von 1931 bis 1966 Chefingenieur und Leiter der Karosserie-Bauabteilung bei Porsche. In dieser Zeit entwickelte er das Design des VW Käfer und war an der Gestaltung des Porsche 356, der auch als „Ur-Porsche“ bezeichnet wird, sowie an der Entwicklung des Porsche 911 beteiligt. Ob er rechtlich als Urheber dieser Fahrzeuge gilt, ist bislang ungeklärt.

Komenda starb 1966. Seine Tochter verklagte 2017 die Porsche AG. Sie verlangt als Erbin ihres Vaters gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG eine angemessene Beteiligung an den Erlösen aus dem Verkauf der ab 2011 produzierten Baureihe 991 des Porsche 911. Sie meint, bei den Fahrzeugen dieser Baureihe seien wesentliche Gestaltungselemente der unter maßgeblicher Beteiligung ihres Vaters entwickelten Ursprungsmodelle des Porsche 356 und des Porsche 911 übernommen worden.

Der auch Bestsellerparagraph genannte § 32a UrhG gewährt dem Urheber für den Fall eines unerwartet großen kommerziellen Erfolges seines Werkes einen Anspruch auf Vertragsanpassung. Voraussetzung für diesen Anspruch ist stets, dass die erfolgreiche Nutzung auch von dem ursprünglichen Vertrag über die Nutzungsrechte umfasst war. Nur der Erfolg muss unvorhergesehen sein, so dass die vereinbarte Vergütung nachträglich als unangemessen zu beurteilen ist. Es kam somit darauf an, ob die Herstellung und der Vertrieb der neuen Baureihen des Porsche 911 (konkret die Baureihe 991) eine urheberrechtliche Nutzung des ursprünglichen Werks darstellen.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht Stuttgart hatten die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Landgericht aus, die Baureihe 991 weiche in ihrem Aussehen so stark von den Modellen 356 und Ur-911 ab, dass sie urheberrechtlich als freie Benutzung anzusehen und damit nach § 24 Abs. 1 UrhG zulässig seien. Eine freie Benutzung setzt voraus, dass angesichts der Eigenart des neuen Werks die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werks verblassen.

Bevor der Bundesgerichtshof (BGH) über die Revision entscheiden konnte, hat jedoch der EuGH in einem anderen Verfahren festgestellt, dass die „freie Benutzung“ gemäß § 24 UrhG nicht mit EU-Recht in Einklang steht (Entscheidung vom 29.07.2019 - C-476/17). Danach ist es nicht mehr zulässig, in einem solchen Fall unabhängig davon, ob die Voraussetzungen einer der in Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen oder Beschränkungen vorliegen, anzunehmen, der Schutzbereich eines Verwertungsrechts werde durch § 24 Abs. 1 UrhG in der Weise beschränkt,

dass ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werks geschaffen worden ist, ohne Zustimmung verwertet werden darf. § 24 UrhG wurde mit Wirkung zum 07.06.2021 gestrichen, gleichzeitig wurde § 23 UrhG um die Klarstellung ergänzt, dass keine (erlaubnispflichtige) Bearbeitung vorliegt, wenn das neu geschaffene Werk einen „hinreichenden Abstand zum benutzten Werk wahrt“.

Mit seinem Urteil vom 07.04.2022 (Az. I ZR 222/20) stellt der BGH jedoch fest, dass die Grundsätze zur freien Benutzung und damit zum „Verblassen“ weiter gelten. Das Kriterium des „Verblassens“ sei nun unionsrechtskonform im Sinne des Kriteriums der fehlenden Wiedererkennbarkeit der schutzbegründenden eigenschöpferischen Elemente zu verstehen. Ist also das vorbestehende Werk nicht mehr oder nur noch rudimentär zu erkennen, soll ein „hinreichender Abstand“ gewahrt sein und damit keine Bearbeitung vorliegen. Im Ergebnis seien die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass die Baureihe 991 des Porsche 911 hinreichenden Abstand zu dem Modell 356 wahrt, so dass keine urheberrechtliche Nutzung vorliegt, für die ggf. eine angemessene Beteiligung geschuldet werde. Der Gesamteindruck der Gestaltung des Porsche 911 der Baureihe 991 stimme nicht mit dem Gesamteindruck der Gestaltung des Porsche 356 überein.

Hinsichtlich der beiden internen Gestaltungen namens „T7“ und „T8“ haben die Gerichte zwar festgestellt, dass diese wesentliche Gestaltungsmerkmale des Porsche 911 vorweggenommen haben. Es ist der Klägerin jedoch bislang nicht gelungen, ihre Behauptung zu beweisen, ihr Vater habe diese als Hauptverantwortlicher gestaltet.

Auch hinsichtlich des „Ur-911“ ist es der Klägerin (noch) nicht gelungen, eine (Mit-)Urheberschaft ihres Vaters zu beweisen. Allein in diesem Punkt erkannte der BGH einen Verfahrensfehler des OLG Stuttgart. Die Vorinstanz hätte den Ehemann der Klägerin als Zeugen für ihre Behauptung hören müssen, ihr Vater sei Schöpfer des Ur-911. Vor diesem Hintergrund hat der BGH das Urteil des OLG aufgehoben und das Verfahren zur neuen Verhandlung zurückverwiesen.

Das OLG wird nun den Ehemann als Zeugen zu der Behauptung anhören müssen, ihr Ehemann habe seinen Schwiegervater an dessen Arbeitsplatz besucht. Dort habe Erwin Komenda ihm den Targabügel für "seinen" Porsche 911 gezeigt und klargemacht, dass der 911 und dessen Karosserie "sein Auto, sein Entwurf" gewesen sei.

Autor: Rechtsanwalt Marc Hügel