YouTube klagt gegen Verschär­fungen im NetzDG

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Im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wurden 2017 bußgeldbewehrte Compliance-Regeln für Soziale Netzwerke betreffend den Umgang mit Beschwerden über Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte im Netz eingeführt. Damit sollte die zunehmende Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube und Twitter eingedämmt werden. Das Gesetz erfuhr und erfährt scharfe Kritik von Experten, den Anbietern sozialer Netzwerke sowie vom Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen. Eine 2018 gegen das NetzDG erhobene vorbeugende Feststellungsklage wies das Verwaltungsgericht Köln als unzulässig ab.

Jetzt muss sich das VG Köln erneut mit dem NetzDG befassen. Wie YouTube am 27.07.2021 mitteilte, hat der Konzern (konkret die Google Ireland Limited) vor dem VG Köln in der Hauptsache negative Feststellungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben und parallel Eilrechtsschutz beantragt. Auslöser des Rechtsstreits ist das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das im April diesen Jahres zum Großteil in Kraft getreten ist und u.a. Teile des NetzDG neu regelt.

Das Gesetz sieht neben einer Erweiterung der erfassten Straftatbestände auf nunmehr 22 für Anbieter sozialer Netzwerke in § 3a NetzDG eine Verpflichtung vor, ab Februar 2022 proaktiv und automatisch Daten von Nutzern an das Bundeskriminalamt (BKA) weiterzugeben, wenn sie von einem Verstoß gegen bestimmte Straftatbestände ausgehen. Hierdurch soll es der beim BKA eingerichteten Zentralstelle ermöglicht werden, zu überprüfen, ob die übermittelten Inhalte strafrechtlich relevant sind. Anhand der neben dem Nutzernamen zu beauskunftenden IP-Adresse soll das BKA dann feststellen, von wo die Straftat begangen wurde und das Verfahren an die örtliche zuständige Staatsanwaltschaft abgeben. 

YouTube kritisiert diesen Mechanismus:

„Dieser massive Eingriff in die Rechte unserer Nutzer:innen steht unserer Ansicht nach nicht nur in Konflikt mit dem Datenschutz, sondern auch mit der deutschen Verfassung und Europäischem Recht. Neben der Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf private Unternehmen sind hier besonders fehlende rechtsstaatliche Kontrollen sowie das Entstehen umfassender Datenbanken mit personenbezogenen Daten einer großen Zahl von Nutzer:innen beim BKA zu nennen, darunter zahlreicher Nutzer:innen, die sich rechtmäßig verhalten haben. Die Rechte der Betroffenen werden ferner ausgehebelt, da die Anbieter ihre Nutzer:innen nicht über die Weitergabe ihrer Daten informieren dürfen, zumindest nicht innerhalb der ersten vier Wochen.“

Wirklich spannend wird das Verfahren allerdings nicht nur wegen der datenschutzrechtlichen Fragen, sondern insbesondere, weil europarechtliche Vorgaben unter Umständen das ganze NetzDG zu Fall bringen könnten: So legt Art. 3 Abs. 2 der E-Commerce-Richtlinie (RL 2000/31/EG) das sog. Herkunftslandprinzip fest, wonach die Mitgliedstaaten den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat „nicht aus Gründen einschränken dürfen, die in den koordinierten Bereich fallen“. Die Regelungen des NetzDG unterfallen dem „koordinierten Bereich“, wovon auch der Gesetzgeber ausgeht.

Er beruft sich jedoch auf eine Ausnahme nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie. Danach sind Maßnahmen zulässig, die erforderlich sind etwa zum Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen. Diese Ausnahmevorschrift gestattet jedoch nur Maßnahmen, „die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen“.

Bisher gerichtlich ungeklärt ist die Frage, ob die Beschränkung auf „einen bestimmten Dienst“ nur Regelungen im Einzelfall erlaubt, also gegenüber einem konkreten Anbieter wie YouTube. Es ist zumindest fraglich, ob abstrakt-generelle Maßnahmen, wie sie das NetzDG gegen eine Vielzahl von Diensteanbietern vorsieht, noch nach Art. 3 Abs. 4 der E-Commerce-Richtlinie zu rechtfertigen sind.

Auch hierüber wird voraussichtlich zunächst das VG Köln, unter Umständen aber auch der EuGH zu entscheiden haben. Sollte das Herkunftslandprinzip verletzt sein, weil das NetzDG (oder Teile davon) nicht unter die Ausnahmevorschrift des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie fällt, dürften die Regeln in Bezug auf einen betroffenen Diensteanbieter nicht angewendet werden.  Das Gesetz wäre schlicht unwirksam. 


Autor: Rechtsanwalt Björn Frommer